Peter Nennstiel
Zeitzeuge der Nachkriegsjahre

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In den nächsten 24 Stunden mussten wir dann die Hubinsel und den schweren Kran wieder aufbauen. Bei längeren Schleppreisen wurde alles nach den Richtlinien des Germanischen Lloyds seefest gemacht, abgebaut, gelascht und verschweißt. Die meisten Besatzungsmitglieder kamen aus der Metallbranche. Im Laufe der Jahre lernte ich von meinen Kollegen schweißen, brennen und das bedienen einer Drehbank. Im Gegenzug zeigte ich ihnen einen Palstek, spleißen, einen Kurs abstecken und wie ein Etmal genommen wird.
Mein nautischer Kollege an Bord war eine schillernde Persönlichkeit und kam aus Wilhelmshaven. Mit 17 noch zur Wehrmacht eingezogen, musste er den ganzen Russlandfeldzug mitmachen. Der erste Russe, der ihn am Kriegsende gefangen nahm, hat gleich seine Armbanduhr und die Wehrmachtstiefel geklaut. Das hat Felix der Sowjetunion bis zu seinem Tode nie verziehen. Er hatte aber das Glück nach kurzer Gefangenschaft aus Odessa (Südrussland), auf abenteuerlichen Wegen als blinder Passagier nach Deutschland zu kommen. Er wurde Schrott Fischer in Wilhelmshaven. Die Messinghülsen der gesunkenen Kriegsschiffe wurden geborgen und an die britische Militärbehörde verkauft. Schon bald war er Besitzer einer Dreirad Pritsche "Goliath". Wenn die Engländer mal nicht aufpassten, sind sie mit dem vollen "Goliath" über die Waage, das Geld kassiert und hinten vom Schrottplatz mit dem vollen Wagen wieder raus. Ende der 40 Jahre war Felix schon einer der reichsten Schrotthändler. Aber wie gewonnen so zerronnen, Zigarren wurden mit Geldscheine angezündet. Bei uns war er das ausgemachte Organisations- Talent. Felix konnte auch im Ausland alles besorgen. Ob legal oder nicht, wollen wir mal offen lassen.  

                                                                              

                           Felix und sein Goliath.

Wärend eines Urlaubs zu Hause in Bremen, bekam ich einen Anruf der "Strabag" unserer Reederei. Freundlicherweise hatten sie für die Besatzung der Hubinsel einen gebrauchten Opel Kadett gekauft. Ob ich den PKW wohl mit nach Irland nehmen könnte. Zuerst ging es nach Bremerhaven an Bord der mir ja schon bekannten "Prinz Oberon". Der Wagen kam ins Autodeck und für mich war eine Kabine gebucht. Früh am Morgen machten wir in Harwich fest. Rein ins Auto und runter von der Fähre. Verschlafen wie ich war wunderte ich mich über ein wildes Hupkonzert und wild winkende Einweiser der Fähre. Bekannter Weise wird in England links gefahren. Da hatte ich nicht mehr dran gedacht. Meine ersten 200 m. mit einem PKW auf englischem Boden habe ich rechts gefahren. Na gut, man kann sich an alles gewöhnen. Von Harwich nach London ging es einigermaßen. Nur mit dem überhohlen hatte ich Schwierigkeiten. Der Kadett hatte als Deutsches Auto natürlich links das Steuer, also musste ich ganz rechts raus um rechts zu überhohlen. War dann aber schon im Gegenverkehr. Die Ringautobahn um London gab es damals noch nicht. Ich musste quer durch London. Als ich durch war, musste ich erst mal ein trockenes T-Shirt anziehen. Dann ging es auf West Kurs über Bristol nach Fishguard an die Irische See. Von dort erreiche ich mit der "Stena Europe" in vier Stunden den Irischen Hafen Rosslare. Über Limerick und Foynes kam ich dann an Bord in Aughinish. Die Besatzung der Hubinsel hat sich riesig gefreut, wohl weniger über mein kommen, aber den Kadett fanden sie prima für den Landgang. Der Wagen hat uns bis zum Verkauf der Hubinsel treue Dienste geleistet. Der Bau der Verlade Pier in Aughinis dauerte fast zwei Jahre, wir und der Kadett waren bekannt wie die bunten Hunde. Wir mussten viel arbeiten, aber es war eine schöne Zeit.  

Unser Bord Auto: Opel Kadett.
Dorf in Irland.
 Bushmill Albert mit den O-Beinen und Peter Nennstiel auf der Suche nach dem nächsten Pub.


                               Prins Oberon.

 

                              Stena Europe.

 

Nach dem unser Auftrag in Aughinis am Shannon River abgearbeitet war, brachte uns de Schlepper "Englishman" zum River Suir, dort wurden wir für den Abbruch der "John Redmond" Bridge in Waterford eingesetzt. Am

Neubau der "Brother Edmund Ignatius Rice" Bridge arbeiteten wir bis 1984. Irland ist Erz katholisch, daher der Brücken Name: Brother Edmund Ignatius Rice. Der Volksmund nannte sie aber schnell "Rice Bridge" Unser Auftraggeber war die große Baufirma "Irishenco".  
Rice Bridge

 Erbaut: 1982 - 1986
 Baukosten: Irische Pfund 7 900 000
Ort: Waterford Irland.
Überquert: Den Fluss Suir.
 Konstruktionstyp: Klappbrücke / Wippbrücke.
Funktion: Straßenbrücke.

Mir hat es all die Jahre in Irland gut gefallen. Die Iren sind überaus freundlich und gesellig. Abends in den Pubs war immer eine Bombenstimmung. Es konnte passieren das jemand aus lauter Lust an der Freude aufstand und ein Lied sang. Ich meine richtig singen und nicht so wie bei uns besoffen grölen. Wer konnte hat mitgesungen und dann laut applaudiert. Zwei Jungens unserer Besatzung haben in Waterford geheiratet. Leider sind beide Ehen in die Brüche gegangen. Die Irischen Mädchen sind dann später mit ihren Männern nach Deutschland gekommen. Hier haben sie sich nicht wohl gefühlt und sind aus lauter Heimweh wieder zurück auf ihre grüne Insel.
Alarmübungen gehören zu den Pflichtveranstaltungen auf jeder Hubinsel, allerdings nicht zu den beliebtesten. vor allem, wenn die Glocke während der Schlafenszeit schrillt. Bei "Feuer an Bord" "Mann über Bord" "Leck in der Bordwand" oder kein Scherz "Atomschlag (man kann die einzelnen Übungen auch miteinander kombinieren) hat jedes Besatzungsmitglied seine vorher schriftlich festgelegte Aufgabe. Ich musste mich bei Alarm meistens an der Rettungsinsel Nr.3 einfinden, nur bei "Leck im Schiff" sollte ich vorher die Bullaugen im Funkraum schließen, und beim Atomalarm gehörte ich zum Entaktivierungskommando. Den Atomalarm überhöre ich sogar, denn der Kammerlautsprecher, der die Vorankündigung gibt, funktioniert nicht, ich reagiere nicht auf die Glocke im Gang, schlafe weiter und werde erst putzmunter, als eine Gestalt in Schutzanzug und Atemmaske das Schott aufreist und unverständliche Sprachfetzen gurgelt. Ich mache durch Zeichen klar, dass ich nichts verstehe und er setzt die Maske ab. Es ist der Maschinist unser Truppführer bei Atomalarm. Er hievt mich aus der Koje, schubst mich in den Store. Wo nur noch mein Schutzanzug hängt. Die verdammten Schlaufen und Knöpfe. Wie immer glaube ich ersticken zu müssen.                       
                     



Tug "Englishman" aus Hull

Mit Eimer und Besen in der Hand hinauf auf das Peildeck. Dort liegt der Atomstaub laut Alarmlegende schon zentimeterdick. Wir scheuern das blanke Holz und erretten dadurch - so wird bei der Auswertung gelobt - die Hubinsel und die Besatzung mit Wasser und Schrubber aus höchster Gefahr.
Vor dem nächsten Alarm werde ich zum Sicherheitsbeauftragten beordert. Der vertraut mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, dass in fünf Minuten die Hubinsel in Flammen aufgeht. Ich würde dabei schwer verletzt und müsse im hinteren Duschraum liegen. Als ich wissen will- Nackt oder angezogen? Schreit er: Fragen sie nicht so blöde. Die Glocke schrillt in kurzen und langen Intervallen. "Feuer an Bord". Ich setze mich in den hinteren Duschraum und feixe mir eins. Als mich nach zehn Minuten noch keiner gerettet hat, werde ich misstrauisch. Nach zwölf Minuten überlege ich ernstlich ob die Hubinsel nicht vielleicht schon sinkt und alle schon in den Rettungsbooten sitzen. Ich bilde mir ein, das die Barge sich sehr stark nach Steuerbord neigt, und renne entgegen der Anweisung bewusstlos zu sein aus dem Duschraum. Vor dem Niedergang stehen drei Mann mit einer Tragbahre" Peter wo steckst du bloß? Du sollst doch bewusstlos im vorderen Waschraum liegen hat uns der Sicherheitsbeauftragte gesagt. "Im hinteren Raum, im Duschraum!" verteidige ich mich kleinlaut. "Egal, hau dich endlich hin!" Sie wuchten mich auf die Trage und schleppen meine 85 Kilo den schmalen Niedergang hoch. Mir ist zum Lachen zumute, doch ich beherrsche mich, sonst würden sie mich wirklich arztreif prügeln.

 


Überlebensanzug


Auf dem Hauptdeck mühen sich inzwischen die Feuerwehr-Seemänner den Motor für die Deckwaschleitung anzuschmeißen. Obwohl der Maschinist ihn mit Flüchen anschreit, gibt der Motor nur blubbernde Geräusche von sich. Und die Spritze spritzt nicht. Und die Hubinsel verbrennt, obwohl ringsum nichts so reichlich vorhanden ist wie Wasser. Seeleute fürchten Feuer mehr wie Stürme.

 Zwischen zwei Hubinseln.



   Aufrichten einer Rettungsinsel. Gar nicht so einfach.

Von wegen Schrott oder Abwrackwerft, tot gesagte leben länger.Die Hubinsel 6 erstrahlt im neuen Glanz unter dem schönen Namen: Excalibur                      FUGRO SEACORE Excalibur jackup barge

                                   Excalibur

Die Schiffssicherheit wird mit internationalen Abkommen bis ins kleinste Detail geregelt. Zur Vermeidung von Zusammenstößen auf See und auf den mit der See im Zusammenhang stehenden Seeschiffahrtstraßen sind internationale Ausweichregeln festgelegt. Der Kapitän auf meinem ersten Kümo hat es mir vor ca. fünfzig Jahren wie folgt erklärt:

Kommt grün und rot voraus in Sicht,
 dreh Steuerbord, zeig rotes Licht;
denn grün an grün und rot an rot
 geht alles klar, hat keine Not.

Wird rot an Steuerbord gesehen,
so musst du aus dem Wege gehen.

Sieht man jedoch an Backbord grün,
 brauchst du dich weiter nicht zu mühen
in diesem Fall muß grün sich klaren
und muß dir aus dem Wege fahren.